Mittwoch, 19. Dezember 2012

Kein Jahresrückblick 2012 – oder doch?

Überall wird man zurzeit erschlagen von Jahresrückblicken. Die geliebte Serie läuft nicht, weil Menschen 2012 gezeigt werden. Der Spielfilm wird von den rührendsten, lustigsten, blödsten oder peinlichsten Momente 2012 verdrängt. Und umgekippte Kreuzfahrtschiffe, wiedergewählte Präsidenten sowie Amokläufer verfolgen einen auf Schritt und Tritt. Wen interessieren da noch Not-OPs, Gerichtsprozesse, erste Freundinnen und neue Jobs?

Mich irgendwie. Weil mich diese Momente aus unserem Familienleben mehr berühren, als das Weltgeschehen rundherum. Obwohl ich besonders auf das Kapitel Gerichtsprozesse durchaus verzichten könnte. Aber mein Exmann scheinbar nicht. Und so habe ich meiner wunderbaren Anwältin mal wieder den nächsten Sommerurlaub finanziert. Alles zum Wohl der Kinder. Die sehen ihren Vater jetzt noch seltener. Es sei denn, er bequemt sich mal in die norddeutsche Provinz. Um zu sehen, wie seine Söhne eigentlich leben. Und was für Freunde beziehungsweise Freundinnen sie haben.

Apropos Freundin. Am Wochenende steht eine Weihnachtsplätzchenbackorgie bei uns an (ging nicht früher, da ich bekanntlich in der einen Stadt lebe und in der anderen arbeite). Und zu eben diesem adventlichen Backnachmittag kommt Pauls Freundin. Ich bin gespannt. Zwar kenne ich sie seit der ersten Klasse und habe sie auf diversen Sommerfesten, Weihnachtsbasaren, Schulausflügen sowie Theateraufführungen erlebt. Aber eben wie man so die Schulfreunde der Kinder erlebt. Ich weiß also, wie sie aussieht und heißt. Doch Paul ist bereits seit fünf Wochen schwer verliebt – eine kleine Ewigkeit im zarten Alter von 14 Jahren.

Meine sporadische Anwesenheit zuhause habe ich besagtem neuen Job zu verdanken. Der ist zwar klasse, aber eben in einer anderen Stadt. Was dazu führt, dass ich durch häufige Abwesenheit glänze. Und Kontakt mit meiner Familie in erster Linie übers Telefon halte. Dieses „Doppelleben“ ist oft toll. Spannend. Abwechslungsreich. Und manchmal nur noch anstrengend. Frustrierend. Und einsam.

Auch die wichtigen Momente im Leben erlebt man dann manchmal eben nur aus der Ferne. Nach reiflicher Überlegung hatten wir uns entschlossen, im Frühjahr Johann endlich die Polypen rausnehmen zu lassen. Denn sein Sprachvermögen war nicht nur schlecht, sondern vielmehr nicht existent. Um die Belastung der Narkose so gering wie möglich zu halten, warteten wir also seinen zweiten Geburtstag ab, bevor er nach zahlreichen Voruntersuchungen operiert wurde. Alles verlief prima; die Narkose war schnell abgebaut, nachmittags turnte er schon wieder durch den Garten. Zwei Wochen später klagte er über Bauchschmerzen. Der Weg führte vom Kinderarzt direkt wieder in den OP. Und zwar schnellstmöglich. Eine Stunde später lag er unter dem Messer – diesmal blieb keine Zeit für aufwendige Voruntersuchungen. Oder punktgenaue Narkosen. Ich verfolgte das Ganze nur durch die fernmündlichen Berichte meines Mannes. Da blutete mir wirklich das Mutterherz.

Auch Felix hielt uns im letzten Jahr auf Trab. Seine Intelligenz ist und bleibt eine besondere Herausforderung für uns. In jeglicher Hinsicht. Seine leise anklingende Pubertät macht es nicht einfacher. Vielmehr verwandelt sein Zimmer sich in einen undurchdringlichen Sumpf. Und was das Chillen betrifft, versucht er seinen großen Bruder noch zu toppen. Wie es mit dem Instrument im nächsten Jahr weitergeht, bleibt abzuwarten.

Aber jetzt freue ich mich erst mal auf ein paar Weihnachtstage. In der Hoffnung, dass diese ruhig und friedlich verlaufen. Und freue mich, dass wir am 1. Weihnachtstag die große Runde um unsere lange Tafel versammeln. Ich, allein unter sechs Jungs. Naja, fast. Glücklicherweise bringt der Große seine Freundin mit…

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Besinnliche Weihnachtszeit

Von wegen besinnliche Vorweihnachtszeit, mit Stunden voller Kerzenschein und duftenden Keksen. Weihnachten – und vor allem die Adventszeit – sollten eine ruhige Zeit der inneren Einkehr sein. Ein Widerspruch in sich, wenn man in einer großen Familie lebt. Und das liegt nicht nur an Küchen, die nach erfolgtem Plätzchenbacken einem Schlachtfeld gleichen.

Eigentlich ist es bei uns so Brauch, dass die Kinder ihren Wunschzettel vor dem 1. Advent schreiben. Damit die Weihnachtswichtel ihn holen können, sodass das Christkind genügend Zeit hat, in der Himmelswerkstatt die gewünschten Geschenke anzufertigen. Okay, so war es zumindest, als die Kinder noch ans Christkind glaubten. Und keine Ahnung von Amazon, Jako-O & Co. hatten. Doch der Zeitpunkt ist geblieben. Denn das Besorgen der Geschenke ist nicht weniger kompliziert oder schneller geworden, nur weil das Weihnachtsfest ein Stückweit entzaubert wurde.

Von Felix hatte ich den ersten Wunschzettel bereits Mitte Oktober bekommen. Inzwischen liegt mir die vierte Variante vor. Es handelt sich aber leider nicht nur um Ergänzungen, sondern vielmehr um komplette Neufassungen. Neben Lego im Wert von geschätzt 750 Euro befinden sich darauf auch sage und schreibe 13 (!) Bücher. Okay, ist ein Wunschzettel und kein Bestellschein. Die Strümpfe, die noch auf dem ersten Wunschzettel standen, sind inzwischen übrigens ersatzlos gestrichen worden. Von Felix, nicht von mir.
Johann wiederum blättert begeistert jede Werbung und jeden Katalog durch, den er in die Finger bekommt. Strahlend zeigt er auf die Bilder und stellt fest:“Johanns“. Von der Dampfmaschine über ein Barbie-Pferd bis hin zu ganzen Baggersortimenten war bereits alles dabei.

Paul hingegen hat noch nicht mal ein Wunschzettelchen abgegeben. Vielleicht weil die begehrten Besitztümer außer Reichweite liegen. Auf die Frage, was er gerne hätte, kam die knappe Antwort: „Ein iPad.“ Abgelehnt. „Dann eben ein MacBook.“ Ich stöhne innerlich auf. Aber wünschen kann man sich bekanntlich ja alles. 

Nun sind es noch exakt zwölf Tage bis Weihnachten. Wovon ich fünf Tage in einer anderen Stadt arbeite, also nicht mal im Traum ans Geschenke besorgen denken kann. Zwei weitere Tage fallen auf einen Sonntag. Und der 21.12. ist für Weihnachtsbaumkauf und Lebensmittel reserviert. Da wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als mich mit gefühlt einer Million anderer Menschen am Samstag in der Stadt ins Einkaufsgetümmel zu stürzen. In der Hoffnung, die eine oder andere geniale Erkenntnis zu bekommen, um an Heiligabend Kinderaugen zum Leuchten zu bringen. Denn dafür lohnt sich der ganze Weihnachtsstress. Jedes Jahr wieder.

Freitag, 7. Dezember 2012

Pubertant vs. Trotzkind

Was ist herausfordernder? Ein 14-Jähriger Pubertant oder ein Dreijähriger mitten in der Trotzphase? Wir haben das große Los gezogen, beides zeitgleich zu haben. Wobei wir noch von Glück reden können, dass die Pegelausschläge sich bisher in Maßen hielten.

Was vielleicht auch ein wenig unserer Erfahrung und der daraus resultierenden relativen Gelassenheit geschuldet ist. Schließlich ist es bereits für jeden von uns das dritte Mal, dass wir ein Kind in der Trotzphase „genießen“. Mein Mann hatte sogar das zweifelhafte Vergnügen, vor 15 Jahren diese Zeit im Doppelpack durchzustehen. Und ebendiese Zwillinge haben uns auch schon sämtliche Höhen und Tiefen der Pubertät gezeigt.

Und trotzdem werden meine Nerven arg strapaziert, wenn Johann sich mal wieder mit aller Macht auf den Boden wirft, weil er partout nicht an der Hand gehen will – obwohl in drei Meter Entfernung die Autos vorbeirauschen. Oder ich ihm die Schuhe nicht anziehen darf: „Papi macht das!“. Haha, Papi ist nicht da. Und die Tagesmutter wartet. Ganz zu schweigen von meinem Termin. Innerlich koche ich, äußerlich versuche ich ruhig zu bleiben. Was mir nicht sehr überzeugend gelingt. „Du kommst jetzt“, zische ich durch meine zusammengebissenen Zähne. „Nein, spielen!“ lautet die Antwort. Und weg ist er. Ich rappel mich hoch, den Schuh noch in der Hand und hole Johann von den Legosteinen weg. In dem Moment ist mir klar, warum es auch Bockphase genannt wird: Er wehrt sich wie ein kleiner Ziegenbock, den man an den Hörnern packt. Heult, weigert sich, sich hinzusetzen – dabei will ich ihm nur die Schuhe anziehen!
Fünf Minuten später stehen wir vor der Haustür. Ich schweißgebadet und genervt, Johann fröhlich und tatendurstig, als wäre nichts gewesen. 

Meist aber kann ich mir diese Szenen tatsächlich relativ entspannt ansehen. Weil ich weiß, dass es sich um eine Durchgangsphase handelt. Und ihr Ende in greifbarer Nähe ist. 

Die zweite große Durchgangsphase – die Pubertät – ist da manchmal schon schwieriger auszuhalten. Warum eigentlich? Vielleicht weil man sich selber noch erinnert, wie die Gefühle mit einem in diesem Alter Achterbahn gefahren sind. Man in einem Moment himmelhochjauchzend war, im nächsten zu Tode betrübt. Und dann diese pampigen Antworten... Mir fällt es schwer, in solchen Situationen nicht die Erziehungskeule herauszuholen. Dabei weiß ich nur zu gut, wie ich selber war – bloß um meine Mutter zu provozieren. Was ja auch meist gelang. Außerdem will das Trotzkind nicht – im Gegensatz zum Pubertanten – abends alleine mit seiner Freundin ins Kino. Oder auf den Weihnachtsmarkt. Da wird die abgeklärte Mutter plötzlich zur kämpfenden Löwin, die der Meinung ist, ihren Sohn vor den Unbilden des Lebens schützen zu müssen. Und stellt fest, dass das Loslassen doch nicht so einfach ist.

Ich weiß, dass mein „Nein“ manchmal vorschnell ist. Aber ich weiß auch, dass beileibe nicht alle anderen Kinder alles dürfen. Das hat meine Mutter mir früher schon nicht geglaubt. Da muss sich der Pubertant schon bessere Argumente einfallen lassen. Aber für Paul ist es schwer vorstellbar, dass ich auch mal jung war. Und diese Situationen aus eigener Erfahrung kenne. Was so einem 14-Jährigen manchmal entfällt: Auch wir Eltern benutzen Telefone, um uns mit anderen Eltern zu unterhalten.

Doch auch wenn die Phasen vergleichbar sind und wir alle durch den (manchmal schmerzhaften) Prozess der Abnabelung müssen: Einen Dreijährigen, der sich in der Fußgängerzone heulend auf den Boden wirft, weil er den Lolli nicht bekommt, kann ich besser ertragen als einen 14-Jährigen, der sich kreischend quer in die Tür schmeißt, weil er nicht bei seiner Freundin übernachten darf.

Donnerstag, 29. November 2012

Windeltage

Eigentlich sollten wir ganz gelassen bleiben. Schließlich ist es unser fünftes Kind (wenn auch jeder von uns nur drei davon großgezogen hat). Und so kennen wir den Werdegang vom Wickelkind zum selbständigen Toilettengänger.

Theoretisch weiß ich auch, dass Druck nichts nützt. Und dass jedes Kind irgendwann sauber und trocken wird. Doch das mit der Gelassenheit fällt mir schwer. Und Geduld zählt nicht zu meinen herausragenden Stärken. Diese nicht gerade sehr belastbare Geduld unterzieht unser Jüngster gerade einer harten Probe. Sein dritter Geburtstag steht kurz vor der Tür. Dennoch macht er nicht mal ansatzweise Anstalten, auf seine Windel zu verzichten.

Alle anderen Kinder bei der Tagesmutter – obwohl teilweise Monate jünger – ziehen links und rechts an ihm vorbei und  gehen bereits selbständig aufs Klo. Nur Johann nicht. Auf seine beiden Lieblingssätze: „Ich mach‘ das!“ oder „Das schaff‘ ich!“ wartet man in diesem Zusammenhang vergebens.

Auf Wellnesswickeln verzichten wir schon lange: Wohlige Wärme sucht man an diesen nasskalten Spätherbsttagen bei uns beim Windelwechsel vergebens. Doch es nützt alles nicht. Noch ist meine Verzweiflung nicht groß genug, als dass ich mich in Foren tummle, in denen Eltern sich hilfesuchend an andere wenden, in der Hoffnung auf den einen, erfolgversprechenden Tipp. Auch Bücher wie „Sauberwerden ohne Druck“ oder "Endlich windelfrei" lasse ich links liegen. Noch.

Im Durchschnitt verbraucht ein Kind 4.000 Windeln, bis es sauber wird. Dabei entsteht ein 600 Kilogramm schwerer Müllberg. Ich befürchte, dass Johann diese Zahlen toppen wird.

Und mit jedem Windelpaket, das ich kaufe, schwöre ich, dass es das letzte sei. Um kurz darauf wieder wortbrüchig zu werden. Und hoffe, dass Johann zu seinem dritten Geburtstag die Kurve kriegt. Zehn Tage hat er noch…

Samstag, 24. November 2012

Das Drama des begabten Kindes (Teil 2)

Das Drama des begabten Kindes (Teil 1)

Keine Ahnung, ob unser Zweitgeborener hochbegabt ist. Oder lediglich sehr intelligent. Das spielt auch keine Rolle. Denn die Kehrseite der Medaille macht es für alle schwieriger – auch für ihn selbst.

Auf den ersten Blick sieht man nur die Begabungen. Die Musikalität – einmal gesehene Noten kann er auswendig, nach Gehör zu spielen oder singen bereitet ihm keine Schwierigkeiten; die Aufnahmeprüfung zum Knabenchor bestand er mit „Alle meine Entchen“. Oder das Sprachtalent, egal ob es um Englisch oder Russisch geht. Die Fähigkeit, nach einmal durchlesen alle Bundesländer und Hauptstädte zu können. Das Einmaleins runterzubeten, während der große Bruder noch rechnet...

Denn im Grunde genommen ist es ein Repetieren des Gehörten. Doch irgendwann im Laufe der schulischen Laufbahn muss auch das begabteste Kind anfangen zu lernen. Und damit kann Felix nichts anfangen. Auf meine Frage, ob es nicht toll wäre, sich etwas zu erarbeiten, was man nicht könne, um es dann zu beherrschen, schaut er mich nur verständnislos an. Eine Lehrerin klärte mich darüber auf, dass er gar nicht wissen würde, wovon ich sprach. Weil er eben alles kann.

Doch dann kamen die Textaufgaben. Und mit ihnen zogen die Wutanfälle bei uns ein. Die Aufgaben schienen nicht seinem bisherigen Denkmuster zu entsprechen. Und brachten ihn zur Verzweiflung. Natürlich war nicht er Schuld, sondern seine Lehrerin blöd und die Aufgaben unlösbar. Zeitgleich haderte er mit dem Cello. Auch hier war es selbstverständlich der Fehler des Lehrers. Und anstatt zu üben, drehte Felix ihm den Rücken zu und verweigerte sich komplett.

Plötzlich flog ihm nicht mehr alles so zu, wie er es gewohnt war. Die Erkenntnis war für ihn ungleich schwerer, als für seinen großen Bruder, der sich schon immer alles erarbeiten musste. Doch was nützt einem alle Begabung, wenn man es nicht schafft, etwas daraus zu machen?

Ich finde es sehr viel einfacher, mit einem Kind Vokabeln zu pauken, als ihm behutsam beizubringen, dass alle Begabung nichts nützt, wenn man nichts daraus macht. Und sich weigert zu lernen, weil man ja scheinbar alles kann.

Die Landung auf der Erde war hart für Felix. Und die Schmerzen sind bis heute nicht vergessen. Doch ich hoffe, wir sind auf einem guten Weg. So dass Felix nicht dem Drama des begabten Kindes erliegt und eines Tages scheitert. Sondern es schafft, aus seinen Begabungen sich eine herauszupicken und diese weiterzuentwickeln.

Dienstag, 20. November 2012

Das Drama des begabten Kindes (Teil 1)

Das Drama des begabten Kindes (Teil 2)

Beinahe alle Eltern träumen von einer besonderen Begabung ihres Kindes. Paul, meinen Ältesten, beobachtete ich mit Argusausgen. Glücklich registrierte ich jedes neue Wort, das er lernte. Zufrieden stellte ich fest, dass er sehr früh sehr gut sprach. Und platzte fast vor Stolz, als die Kinderärztin sein außergewöhnliches Sprachvermögen lobte.

Doch hochbegabt war er nicht. Das stellte ich spätestens mit seiner Einschulung fest. Als Paul in die Schule kam, war er fest davon überzeugt, von nun an lesen und rechnen zu können. Schließlich hatten ihm alle gesagt, dass er das in der Schule lernen würde. Doch leider hatten alle versäumt zu erwähnen, dass es mit Arbeit verbunden ist. Und man es nicht automatisch kann, nur weil man jetzt eben nicht mehr in den Kindergarten, sondern in ein Klassenzimmer ging. Seine Ambitionen, es mit eigenen Anstrengungen doch noch zu erlernen, hielten sich in Grenzen.

Und dann kam Felix. Unser Zweitgeborener himmelte seinen Bruder an. Der nahm den Kleinen unter seine Fittiche. Felix musste nichts selber machen, sondern lediglich seinem Bruder folgen. Sein Sprachvermögen war derart unterentwickelt, dass nur Eingeweihte ihn verstehen konnten. Machte aber nichts, Paul übersetzte – selbst noch für seinen vierjährigen Bruder.

Doch plötzlich fing Felix an zu reden. Und hörte nicht mehr auf. Eines abends, er war vielleicht fünf Jahre alt und befand sich mitten in einer Dino-Phase, erzählte er Geschichten von Halticosaurus, Baronyx und Styracosaurus. Mit Tyrannosaurus rex oder Brachiosaurus hätte ich ja noch etwas anfangen können – aber diese Namen hatte ich noch nie gehört. Ich war skeptisch, ob irgendetwas davon stimmte. Also schlug ich nach. Und musste feststellen, dass alles korrekt war. Ich war erschüttert. Wann hatte Felix das aufgeschnappt?

Fortan fiel auf, dass Felix alles, was er hörte, aufsog wie ein Schwamm. Und nie wieder vergaß. Nach einem Zoobesuch kannte er alle Tiere und ihre Lebensgewohnheiten. Bücher gab er beinahe buchstabengetreu wieder. Einmal in einem Museum gewesen, konnte er anschließend alle Exponate mit Hintergrund erklären. Fraglos eine Gnade. Und zugleich ein Fluch. Denn auch Ungerechtigkeiten, die ihm wiederfahren, kann er jahrelang nicht loslassen.

Fortsetzung folgt ...

Samstag, 10. November 2012

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Ich wusste, dass die Zeit mit Paul nicht vergnügungssteuerpflichtig wird. Das ist sie mit Pubertanten eher selten. Aber dass das Hoch so kurz währen würde, hätte ich auch nicht gedacht.

Dabei fing das Schuljahr nach den Sommerferien so gut an. Der Große (14) schien wie ausgewechselt. Lernte Vokabeln, führte seine Hefte und Mappen ordentlich und hatte immer alle Schulsachen dabei. Nach dem letztem Schulzeugnis habe ich das allerdings auch erwartet. Denn irgendwie konnten wir uns alle glücklich schätzen, dass ich ruhig blieb und das Zeugnis vor den Sommerferien mit Humor nahm. Auch wenn es Galgenhumor war. Was blieb mir anderes übrig? Hätte ich kreischen, heulen oder mein Kind verfluchen sollen? Das war es nicht wert. Es handelte sich schließlich nur um ein Zeugnis. Also atmete ich tief durch, zählte langsam rückwärts von zehn bis null – und dachte an die Großen meines Mannes, die auch irgendwann die Kurve bekommen haben.

Doch nun das. Kaum sind die Herbstferien vorbei, flattert eine Mail der Englischlehrerin in meinen virtuellen Briefkasten. Mangelnde Mitarbeit, unerledigte Hausarbeiten, schlecht vorbereitete Test, nicht gelernte Grammatik und Vokabeln – wäre mein Schreibtisch im Büro aus Holz und nicht aus Glas, hätte ich in die Tischkante gebissen.

Irgendwie kommt mir das Szenario aus dem letzten Schuljahr bekannt vor. Schlechtes Zeugnis, Bemühen bis zu den Herbstferien, dann wieder rapider Leistungsabfall. Und ich war so naiv zu glauben, dass es sich nicht wiederholen würde. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt – und so frage ich wieder Vokabeln ab, überprüfe Hefte und hoffe immer noch auf dauernde Besserung ...

Donnerstag, 1. November 2012

Von wegen Servicewüste Deutschland


Der Tag ist noch jungfräulich, ein erster sanfter Schimmer zeigt sich am Horizont. Für unseren nächtlichen Gast, der um 3 Uhr zu uns getappt kam, scheint es das Signal zu sein.

Unser Jüngster, eben noch friedlich zwischen uns schlummernd, setzt sich auf: „Mikau“ fordert er lautstark. Mein Mann und ich stöhnen leise auf, drehen uns nochmals um und ziehen uns dabei beinahe synchron die Decke über den Kopf. Doch es nützt nichts. Wieder fordert Johann: „Mikau“. Noch hofft jeder, dass der andere das machen würde – sich aus dem warmen Bett schälen und in der vorwinterlichen Kälte runter in die Küche gehen, um dem Filius seine Flasche Kakao zu bereiten. Doch gerade als mein Mann sich überwindet, kommt es glasklar: „Mami macht“. Oh nein, ich habe gehofft, dass dieser Kelch an mir vorübergeht. Da ich die Vehemenz meines Sohnes kenne, füge ich mich. Da bekommt der Begriff „Arbeit adelt“ eine komplett neue Bedeutung...

Während ich schlaftrunken und schicksalsergeben in die Küche tappe, denke ich darüber nach, wie es bei den beiden Großen war. Vor acht beziehungsweise elf Jahren hätte ich mich nicht von einem knapp Dreijährigem in die Küche befehligen lassen, um eine warme Milchflasche zu bereiten.

Ein anderes Beispiel sind die Apfelschnitze. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter jemals eine Dose mit mundgerecht geschnittenen Apfelstückchen bei Ausflügen oder langen Autoreisen dabei hatte. Geschweige denn, wenn ein Spielplatz angesteuert wurde. Wenn die Kindergärtnerin mal einen Zauberapfel im Kindergarten schnitt, dann war das der absolute Höhepunkt – aber Gewohnheit war das sicher nicht. Äpfel aßen wir in der Regel als Ganzes.

Ganz anders heute. Vor allem meinem 11-Jährigem muss man Vitamine in mundgerechter Form darbieten, damit er sie überhaupt zu sich nimmt. Ihm ganze Äpfel einzustecken ist reine Ressourcenverschwendung – sie kommen eines Tages als Kompost zurück. Also gehöre auch ich zu den Müttern, die in der Küche stehen, um Äpfel, Möhren, Paprika und andere vitaminverdächtige Lebensmittel mundgerecht aufbereiten. Oder eben morgens, bevor die Sonne aufgegangen ist, Milchflaschen zubereiten.

Freitag, 26. Oktober 2012

Einmal "Bruce allmächtig" bitte

Manchmal wünsche ich mir die Gabe von „Bruce allmächtig“. Dann wäre kein Zug zu spät, die Kinder nie krank, der Chef würde die getane Arbeit würdigen. Und der Oktober glänzte golden statt mattgrau.

Doch leider ist mir diese Gabe nicht gegeben. Und so muss ich mein Schicksal mit verspäteten Zügen und ausfallenden Bahnen mit einem Riesenheer anderer Pendler teilen. Dass ich momentan beinahe täglich Geschichten lese, höre oder sehe, die über die krankmachende Wirkung des Pendelns berichten, mag an einer selektiven Wahrnehmung liegen. Schließlich liefen in der Stadt auch ausschließlich schwangere Frauen herum, als ich selber ein Kind erwartete.

Anfangs genoss ich den Umstand, in einer anderen Stadt zu arbeiten. Die Auszeit von der Familie, die Zeit für mich, meine entzückende Wohnung mitten im Zentrum. Doch dann schlich sich die Sehnsucht in mein Leben. Ich vermisse das gemeinsame Abendessen, wenn bei Tisch jeder von seinem Tag erzählt. Ich vermisse es, jetzt im Herbst abends nach Hause zu kommen, wenn die erleuchtenden Küchenfenster eine Wärme versprechen, die einem beim Öffnen der Haustür entgegenkommt. Ich vermisse die Stunden am flackernden Kaminofen, das Glas Wein mit meinem Mann. Den Geruch nach feuchtem Laub und Erde, der für mich Herbst bedeutet. Und ich vermisse meine Kinder, die ich so oft auf den Mond gewünscht habe.

Als ich mich vor knapp einem Jahr enthusiastisch in diese Art Leben stürzte, hatte es für mich nur positive Seiten. Ich hatte einen Job, den ich liebte. Tolle Kollegen, auf die ich mich jede Woche wieder freute. Eine Welle des Glücks trug mich durch die Wochen. Ich freute mich darauf, mittwochs in dieses andere Leben einzutauchen. Und Freitagabend wieder meine Familie zu sehen.

Doch dann kam die Realität. Und die hieß Verlust des Alltags mit der Familie. Was teilweise auch dem Umstand geschuldet war, dass ich zuhause zwei bis drei Abende noch einen weiteren Job in der Redaktion der heimischen Tageszeitung habe. Plötzlich ging mir der Spruch einer Freundin nicht mehr aus dem Kopf, die davon erzählte, dass sie ihre Kinder vermissen würde in Zeiten, in denen sie extrem viel arbeitet. Ich konnte es damals nicht nachvollziehen. Heute verstehe ich, was sie meinte.

Und auch wenn ich mich heute noch immer auf meine Kollegen freue, bin ich dennoch wieder auf der Suche. Nach einem Job, der die viel beschworene Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht. Auch für uns.