Donnerstag, 29. November 2012

Windeltage

Eigentlich sollten wir ganz gelassen bleiben. Schließlich ist es unser fünftes Kind (wenn auch jeder von uns nur drei davon großgezogen hat). Und so kennen wir den Werdegang vom Wickelkind zum selbständigen Toilettengänger.

Theoretisch weiß ich auch, dass Druck nichts nützt. Und dass jedes Kind irgendwann sauber und trocken wird. Doch das mit der Gelassenheit fällt mir schwer. Und Geduld zählt nicht zu meinen herausragenden Stärken. Diese nicht gerade sehr belastbare Geduld unterzieht unser Jüngster gerade einer harten Probe. Sein dritter Geburtstag steht kurz vor der Tür. Dennoch macht er nicht mal ansatzweise Anstalten, auf seine Windel zu verzichten.

Alle anderen Kinder bei der Tagesmutter – obwohl teilweise Monate jünger – ziehen links und rechts an ihm vorbei und  gehen bereits selbständig aufs Klo. Nur Johann nicht. Auf seine beiden Lieblingssätze: „Ich mach‘ das!“ oder „Das schaff‘ ich!“ wartet man in diesem Zusammenhang vergebens.

Auf Wellnesswickeln verzichten wir schon lange: Wohlige Wärme sucht man an diesen nasskalten Spätherbsttagen bei uns beim Windelwechsel vergebens. Doch es nützt alles nicht. Noch ist meine Verzweiflung nicht groß genug, als dass ich mich in Foren tummle, in denen Eltern sich hilfesuchend an andere wenden, in der Hoffnung auf den einen, erfolgversprechenden Tipp. Auch Bücher wie „Sauberwerden ohne Druck“ oder "Endlich windelfrei" lasse ich links liegen. Noch.

Im Durchschnitt verbraucht ein Kind 4.000 Windeln, bis es sauber wird. Dabei entsteht ein 600 Kilogramm schwerer Müllberg. Ich befürchte, dass Johann diese Zahlen toppen wird.

Und mit jedem Windelpaket, das ich kaufe, schwöre ich, dass es das letzte sei. Um kurz darauf wieder wortbrüchig zu werden. Und hoffe, dass Johann zu seinem dritten Geburtstag die Kurve kriegt. Zehn Tage hat er noch…

Samstag, 24. November 2012

Das Drama des begabten Kindes (Teil 2)

Das Drama des begabten Kindes (Teil 1)

Keine Ahnung, ob unser Zweitgeborener hochbegabt ist. Oder lediglich sehr intelligent. Das spielt auch keine Rolle. Denn die Kehrseite der Medaille macht es für alle schwieriger – auch für ihn selbst.

Auf den ersten Blick sieht man nur die Begabungen. Die Musikalität – einmal gesehene Noten kann er auswendig, nach Gehör zu spielen oder singen bereitet ihm keine Schwierigkeiten; die Aufnahmeprüfung zum Knabenchor bestand er mit „Alle meine Entchen“. Oder das Sprachtalent, egal ob es um Englisch oder Russisch geht. Die Fähigkeit, nach einmal durchlesen alle Bundesländer und Hauptstädte zu können. Das Einmaleins runterzubeten, während der große Bruder noch rechnet...

Denn im Grunde genommen ist es ein Repetieren des Gehörten. Doch irgendwann im Laufe der schulischen Laufbahn muss auch das begabteste Kind anfangen zu lernen. Und damit kann Felix nichts anfangen. Auf meine Frage, ob es nicht toll wäre, sich etwas zu erarbeiten, was man nicht könne, um es dann zu beherrschen, schaut er mich nur verständnislos an. Eine Lehrerin klärte mich darüber auf, dass er gar nicht wissen würde, wovon ich sprach. Weil er eben alles kann.

Doch dann kamen die Textaufgaben. Und mit ihnen zogen die Wutanfälle bei uns ein. Die Aufgaben schienen nicht seinem bisherigen Denkmuster zu entsprechen. Und brachten ihn zur Verzweiflung. Natürlich war nicht er Schuld, sondern seine Lehrerin blöd und die Aufgaben unlösbar. Zeitgleich haderte er mit dem Cello. Auch hier war es selbstverständlich der Fehler des Lehrers. Und anstatt zu üben, drehte Felix ihm den Rücken zu und verweigerte sich komplett.

Plötzlich flog ihm nicht mehr alles so zu, wie er es gewohnt war. Die Erkenntnis war für ihn ungleich schwerer, als für seinen großen Bruder, der sich schon immer alles erarbeiten musste. Doch was nützt einem alle Begabung, wenn man es nicht schafft, etwas daraus zu machen?

Ich finde es sehr viel einfacher, mit einem Kind Vokabeln zu pauken, als ihm behutsam beizubringen, dass alle Begabung nichts nützt, wenn man nichts daraus macht. Und sich weigert zu lernen, weil man ja scheinbar alles kann.

Die Landung auf der Erde war hart für Felix. Und die Schmerzen sind bis heute nicht vergessen. Doch ich hoffe, wir sind auf einem guten Weg. So dass Felix nicht dem Drama des begabten Kindes erliegt und eines Tages scheitert. Sondern es schafft, aus seinen Begabungen sich eine herauszupicken und diese weiterzuentwickeln.

Dienstag, 20. November 2012

Das Drama des begabten Kindes (Teil 1)

Das Drama des begabten Kindes (Teil 2)

Beinahe alle Eltern träumen von einer besonderen Begabung ihres Kindes. Paul, meinen Ältesten, beobachtete ich mit Argusausgen. Glücklich registrierte ich jedes neue Wort, das er lernte. Zufrieden stellte ich fest, dass er sehr früh sehr gut sprach. Und platzte fast vor Stolz, als die Kinderärztin sein außergewöhnliches Sprachvermögen lobte.

Doch hochbegabt war er nicht. Das stellte ich spätestens mit seiner Einschulung fest. Als Paul in die Schule kam, war er fest davon überzeugt, von nun an lesen und rechnen zu können. Schließlich hatten ihm alle gesagt, dass er das in der Schule lernen würde. Doch leider hatten alle versäumt zu erwähnen, dass es mit Arbeit verbunden ist. Und man es nicht automatisch kann, nur weil man jetzt eben nicht mehr in den Kindergarten, sondern in ein Klassenzimmer ging. Seine Ambitionen, es mit eigenen Anstrengungen doch noch zu erlernen, hielten sich in Grenzen.

Und dann kam Felix. Unser Zweitgeborener himmelte seinen Bruder an. Der nahm den Kleinen unter seine Fittiche. Felix musste nichts selber machen, sondern lediglich seinem Bruder folgen. Sein Sprachvermögen war derart unterentwickelt, dass nur Eingeweihte ihn verstehen konnten. Machte aber nichts, Paul übersetzte – selbst noch für seinen vierjährigen Bruder.

Doch plötzlich fing Felix an zu reden. Und hörte nicht mehr auf. Eines abends, er war vielleicht fünf Jahre alt und befand sich mitten in einer Dino-Phase, erzählte er Geschichten von Halticosaurus, Baronyx und Styracosaurus. Mit Tyrannosaurus rex oder Brachiosaurus hätte ich ja noch etwas anfangen können – aber diese Namen hatte ich noch nie gehört. Ich war skeptisch, ob irgendetwas davon stimmte. Also schlug ich nach. Und musste feststellen, dass alles korrekt war. Ich war erschüttert. Wann hatte Felix das aufgeschnappt?

Fortan fiel auf, dass Felix alles, was er hörte, aufsog wie ein Schwamm. Und nie wieder vergaß. Nach einem Zoobesuch kannte er alle Tiere und ihre Lebensgewohnheiten. Bücher gab er beinahe buchstabengetreu wieder. Einmal in einem Museum gewesen, konnte er anschließend alle Exponate mit Hintergrund erklären. Fraglos eine Gnade. Und zugleich ein Fluch. Denn auch Ungerechtigkeiten, die ihm wiederfahren, kann er jahrelang nicht loslassen.

Fortsetzung folgt ...

Samstag, 10. November 2012

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Ich wusste, dass die Zeit mit Paul nicht vergnügungssteuerpflichtig wird. Das ist sie mit Pubertanten eher selten. Aber dass das Hoch so kurz währen würde, hätte ich auch nicht gedacht.

Dabei fing das Schuljahr nach den Sommerferien so gut an. Der Große (14) schien wie ausgewechselt. Lernte Vokabeln, führte seine Hefte und Mappen ordentlich und hatte immer alle Schulsachen dabei. Nach dem letztem Schulzeugnis habe ich das allerdings auch erwartet. Denn irgendwie konnten wir uns alle glücklich schätzen, dass ich ruhig blieb und das Zeugnis vor den Sommerferien mit Humor nahm. Auch wenn es Galgenhumor war. Was blieb mir anderes übrig? Hätte ich kreischen, heulen oder mein Kind verfluchen sollen? Das war es nicht wert. Es handelte sich schließlich nur um ein Zeugnis. Also atmete ich tief durch, zählte langsam rückwärts von zehn bis null – und dachte an die Großen meines Mannes, die auch irgendwann die Kurve bekommen haben.

Doch nun das. Kaum sind die Herbstferien vorbei, flattert eine Mail der Englischlehrerin in meinen virtuellen Briefkasten. Mangelnde Mitarbeit, unerledigte Hausarbeiten, schlecht vorbereitete Test, nicht gelernte Grammatik und Vokabeln – wäre mein Schreibtisch im Büro aus Holz und nicht aus Glas, hätte ich in die Tischkante gebissen.

Irgendwie kommt mir das Szenario aus dem letzten Schuljahr bekannt vor. Schlechtes Zeugnis, Bemühen bis zu den Herbstferien, dann wieder rapider Leistungsabfall. Und ich war so naiv zu glauben, dass es sich nicht wiederholen würde. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt – und so frage ich wieder Vokabeln ab, überprüfe Hefte und hoffe immer noch auf dauernde Besserung ...

Donnerstag, 1. November 2012

Von wegen Servicewüste Deutschland


Der Tag ist noch jungfräulich, ein erster sanfter Schimmer zeigt sich am Horizont. Für unseren nächtlichen Gast, der um 3 Uhr zu uns getappt kam, scheint es das Signal zu sein.

Unser Jüngster, eben noch friedlich zwischen uns schlummernd, setzt sich auf: „Mikau“ fordert er lautstark. Mein Mann und ich stöhnen leise auf, drehen uns nochmals um und ziehen uns dabei beinahe synchron die Decke über den Kopf. Doch es nützt nichts. Wieder fordert Johann: „Mikau“. Noch hofft jeder, dass der andere das machen würde – sich aus dem warmen Bett schälen und in der vorwinterlichen Kälte runter in die Küche gehen, um dem Filius seine Flasche Kakao zu bereiten. Doch gerade als mein Mann sich überwindet, kommt es glasklar: „Mami macht“. Oh nein, ich habe gehofft, dass dieser Kelch an mir vorübergeht. Da ich die Vehemenz meines Sohnes kenne, füge ich mich. Da bekommt der Begriff „Arbeit adelt“ eine komplett neue Bedeutung...

Während ich schlaftrunken und schicksalsergeben in die Küche tappe, denke ich darüber nach, wie es bei den beiden Großen war. Vor acht beziehungsweise elf Jahren hätte ich mich nicht von einem knapp Dreijährigem in die Küche befehligen lassen, um eine warme Milchflasche zu bereiten.

Ein anderes Beispiel sind die Apfelschnitze. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter jemals eine Dose mit mundgerecht geschnittenen Apfelstückchen bei Ausflügen oder langen Autoreisen dabei hatte. Geschweige denn, wenn ein Spielplatz angesteuert wurde. Wenn die Kindergärtnerin mal einen Zauberapfel im Kindergarten schnitt, dann war das der absolute Höhepunkt – aber Gewohnheit war das sicher nicht. Äpfel aßen wir in der Regel als Ganzes.

Ganz anders heute. Vor allem meinem 11-Jährigem muss man Vitamine in mundgerechter Form darbieten, damit er sie überhaupt zu sich nimmt. Ihm ganze Äpfel einzustecken ist reine Ressourcenverschwendung – sie kommen eines Tages als Kompost zurück. Also gehöre auch ich zu den Müttern, die in der Küche stehen, um Äpfel, Möhren, Paprika und andere vitaminverdächtige Lebensmittel mundgerecht aufbereiten. Oder eben morgens, bevor die Sonne aufgegangen ist, Milchflaschen zubereiten.