Auch wenn ich nicht das erste Mal hier bin, finde ich die
große dunkle Eingangshalle mit der mächtigen steinernen Treppe
furchteinflößend. Gerichtsdiener und Polizeibeamte schieben quietschende Wagen
mit Aktenberge die langen Gerichtsflure entlang. Trotz seiner Größe ist das
Gebäude verwinkelt und es dauert ewig, bis ich Saal 2178 gefunden habe. Ich
finde diesen Termin überflüssig wie einen Kropf. Trotzdem bin ich nervös.
Seit zehn Minuten sitze ich jetzt schon auf der langen Bank
vor dem Saal und starre auf den braunen Linoleumboden. Meine Anwältin verspätet
sich. So habe ich das zweifelhafte Vergnügen, erst mit meinem Exmann ein paar
Worte zu wechseln, bevor ich mich nochmals kurz mit ihr besprechen kann. Ich höre
ihn und seinen Anwalt schon, bevor sie um die Ecke biegen. Schlecht sieht er
aus. Es fällt ihm sichtlich schwer, mich ganz normal mit Handschlag zu
begrüßen. Sofort kommt er darauf zu sprechen, dass er diesen Termin ja
eigentlich gar nicht wollte. Aber ich darauf bestanden hätte. Mir schwant für
die nächsten zwei Stunden nichts Gutes. Schließlich hatte er das Gericht
eingeschaltet, als er seinen Willen nicht zur Gänze bekam. Hat er das
vergessen? Scheinbar. Als Historiker hat er in seinen Arbeiten mehrfach darauf
hingewiesen, dass Menschen häufig Opfer ihrer eigenen Geschichtsschreibung
werden. Diese Erkenntnis scheint ihn nicht davor zu schützen, nun seinen
eigenen Wahrheiten zu erliegen.
Warum müssen zwei Menschen, die sich irgendwann mal
nahestanden, ein Gericht entscheiden lassen, wer wann wen wie lange sehen darf?
Kann man das nicht in einem normalem Gespräch klären? Scheinbar nicht. Aber
eigentlich verwundert das nicht wirklich, wenn man bedenkt, in wie vielen
Beziehungen Sprachlosigkeit und Uneinigkeit herrscht. Es soll zwar tatsächlich
getrennte Eltern geben, die diese Dinge unter sich regeln können. Mein Exmann
und ich gehören nicht dazu.
Kaum beginnt die Verhandlung, hebt er zu einem seiner
Monologe an. Vielleicht kann man als Geschichtsprofessor nicht anders. Bei
manchen Ausführungen fällt es mir schwer, nicht sofort zu widersprechen. Meist
gelingt es mir, seine Worte einfach an mir abperlen zu lassen. Was habe ich zu
verlieren? Gar nichts. Meinetwegen könnten die Jungs einmal monatlich zu ihm fliegen.
Ich kann mein Wochenende auch fabelhaft mit meinem Mann und unserem Kleinsten
alleine verbringen, ohne dass ich vor Gram vergehe. Aber sie wollen nicht mehr.
Es ist ihnen zu viel.
So muss ich mir also anhören, dass ich scheinbar den Kindern das
Telefonieren mit ihrem Vater verbiete, ihnen einrede, dass sie nicht mehr zu
ihm wollen, Briefe diktiere. Der Sommerurlaub, aus dem die Jungs nach einer
Woche abgeholt werden wollten, weil sie es bei ihm nicht mehr aushielten,
bleibt unerwähnt.
Von gegenüber höre ich immer wieder nur „Ich, ich, ich“. Der
Richterin wird es irgendwann auch zu bunt. Sie weist mehrmals darauf hin, dass
es um die Kinder geht. Und nicht um Herrn Professor.
Nach zweieinhalb Stunden wird die Anhörung beendet. Zu einem
wirklichen Ergebnis – Ziel dieses Termins – sind wir nicht gekommen. Der Vater
will lieber die Richterin entscheiden lassen, als auch nur einen Millimeter von
seinen Forderungen abzuweichen. Er kann es einfach nicht verstehen, dass die Welt sich nicht ausschließlich um ihn dreht. Und das andere Menschen auch ein Leben haben. Mal sehen, was da kommt – bisher stand er vor den von ihm initiierten Prozessen meist besser da als hinterher ...
Termine, Termine, Termine
Weitere Posts zu dem Thema:
Neun Jahre oder 3350 TageTermine, Termine, Termine