Mittwoch, 26. September 2012

Amtsgericht, Saal 2178, 11 Uhr – eine Farce

Auch wenn ich nicht das erste Mal hier bin, finde ich die große dunkle Eingangshalle mit der mächtigen steinernen Treppe furchteinflößend. Gerichtsdiener und Polizeibeamte schieben quietschende Wagen mit Aktenberge die langen Gerichtsflure entlang. Trotz seiner Größe ist das Gebäude verwinkelt und es dauert ewig, bis ich Saal 2178 gefunden habe. Ich finde diesen Termin überflüssig wie einen Kropf. Trotzdem bin ich nervös.

Seit zehn Minuten sitze ich jetzt schon auf der langen Bank vor dem Saal und starre auf den braunen Linoleumboden. Meine Anwältin verspätet sich. So habe ich das zweifelhafte Vergnügen, erst mit meinem Exmann ein paar Worte zu wechseln, bevor ich mich nochmals kurz mit ihr besprechen kann. Ich höre ihn und seinen Anwalt schon, bevor sie um die Ecke biegen. Schlecht sieht er aus. Es fällt ihm sichtlich schwer, mich ganz normal mit Handschlag zu begrüßen. Sofort kommt er darauf zu sprechen, dass er diesen Termin ja eigentlich gar nicht wollte. Aber ich darauf bestanden hätte. Mir schwant für die nächsten zwei Stunden nichts Gutes. Schließlich hatte er das Gericht eingeschaltet, als er seinen Willen nicht zur Gänze bekam. Hat er das vergessen? Scheinbar. Als Historiker hat er in seinen Arbeiten mehrfach darauf hingewiesen, dass Menschen häufig Opfer ihrer eigenen Geschichtsschreibung werden. Diese Erkenntnis scheint ihn nicht davor zu schützen, nun seinen eigenen Wahrheiten zu erliegen.

Warum müssen zwei Menschen, die sich irgendwann mal nahestanden, ein Gericht entscheiden lassen, wer wann wen wie lange sehen darf? Kann man das nicht in einem normalem Gespräch klären? Scheinbar nicht. Aber eigentlich verwundert das nicht wirklich, wenn man bedenkt, in wie vielen Beziehungen Sprachlosigkeit und Uneinigkeit herrscht. Es soll zwar tatsächlich getrennte Eltern geben, die diese Dinge unter sich regeln können. Mein Exmann und ich gehören nicht dazu.

Kaum beginnt die Verhandlung, hebt er zu einem seiner Monologe an. Vielleicht kann man als Geschichtsprofessor nicht anders. Bei manchen Ausführungen fällt es mir schwer, nicht sofort zu widersprechen. Meist gelingt es mir, seine Worte einfach an mir abperlen zu lassen. Was habe ich zu verlieren? Gar nichts. Meinetwegen könnten die Jungs einmal monatlich zu ihm fliegen. Ich kann mein Wochenende auch fabelhaft mit meinem Mann und unserem Kleinsten alleine verbringen, ohne dass ich vor Gram vergehe. Aber sie wollen nicht mehr. Es ist ihnen zu viel. 

So muss ich mir also anhören, dass ich scheinbar den Kindern das Telefonieren mit ihrem Vater verbiete, ihnen einrede, dass sie nicht mehr zu ihm wollen, Briefe diktiere. Der Sommerurlaub, aus dem die Jungs nach einer Woche abgeholt werden wollten, weil sie es bei ihm nicht mehr aushielten, bleibt unerwähnt.
 Von gegenüber höre ich immer wieder nur „Ich, ich, ich“. Der Richterin wird es irgendwann auch zu bunt. Sie weist mehrmals darauf hin, dass es um die Kinder geht. Und nicht um Herrn Professor.

Nach zweieinhalb Stunden wird die Anhörung beendet. Zu einem wirklichen Ergebnis – Ziel dieses Termins – sind wir nicht gekommen. Der Vater will lieber die Richterin entscheiden lassen, als auch nur einen Millimeter von seinen Forderungen abzuweichen. Er kann es einfach nicht verstehen, dass die Welt sich nicht ausschließlich um ihn dreht. Und das andere Menschen auch ein Leben haben. Mal sehen, was da kommt – bisher stand er vor den von ihm initiierten Prozessen meist besser da als hinterher ...

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Mittwoch, 19. September 2012

Kinder machen glücklich – oder etwa nicht?

„Ich empfinde meine Kinder nicht als Belastung, sondern als Bereicherung.“ Was war los mit mir, als ich mich zu diesem Satz hinreißen ließ? Befand ich mich in einem Zustand der geistigen Umnachtung? Oder war es lediglich ein gefühlsduseliger Anfall?

Zwar möchte ich auch heute nicht auf meine Kinder verzichten. Und wenn ich sie einige Tage nicht sehe, dann vermisse ich sie. Die erste Klassenfahrt war für mich sicherlich eine größere Feuerprobe, als für meine beiden großen Söhne – und das, obwohl ich längere Trennungen von ihnen gewohnt bin. Schließlich sind sie für regelmäßig bei ihrem Vater. Aber die Tage, an denen ich sie auf den Mond schießen könnte, sind keine Ausnahmeerscheinung. Leider. Und sie werden häufiger, je älter die Jungs werden.

Irgendwie läuft mein Mutterherz nicht vor Freude und Zuneigung über, wenn mein Großer um 20:30 Uhr aus dem Kino nach Hause kommt – während der Rest der Familie, wie verabredet, bereits seit sieben Uhr am Abendbrottisch sitzt. Und auch (verhauene) Tests, die mir zwei Minuten bevor der Bus zur Schule fährt vorgelegt werden, lassen mich nicht jauchzen und frohlocken. Ganz zu schweigen vom letzten Zeugnis. Warum wird Mutterliebe bloß immer wieder derart strapaziert?

Doch wenn etwas passiert – ein Sturz, der im Krankenhaus endet, ungerechtfertigte Anfeindungen von Lehrern, ein arger Streit mit dem besten Freund oder gar Liebeskummer – dann weiß man, dass Kinder wirklich keine Belastung sind. Sondern die schönste Aufgabe des Lebens. Und die zumindest mir immer wieder den Sinn des eigenen Daseins vor Augen führt.

Sonntag, 16. September 2012

Einsame Telefonate

Schon mal mit einem Zweijährigem telefoniert? Ich habe in letzter Zeit häufiger das zweifelhafte Vergnügen. Das ist dem Umstand geschuldet, dass ich in einer Großstadt mit vielen Redaktionen und Agenturen arbeite. Und meine Familie in einer etwas kleineren Großstadt etwa 200 Kilometer entfernt wohnt, sodass wir über das Telefon Kontakt miteinander halten.

Später Nachmittag, ich hoffe, meinen Mann und meine zwei Großen zu erreichen. Es klingelt zweimal, dann wird abgenommen.
- Hallo.
- Hallo Johann.
- Hallo Mami!
- Johann, gibst du mir mal bitte Papi.
- Hallo Mami!
- Johann, ich möchte gerne Papi sprechen.
- Mami!
- Johann, gib mir jetzt bitte mal den Papi.
- Nein.
- Johann, ist Papi da?
- Nein.

Mit Engelszungen versuche ich meinen Sohn davon zu überzeugen, das Telefon seinem Vater zu geben. Natürlich ist er da, ich höre ihn im Hintergrund. Aber statt weitergereicht zu werden, höre ich, dass das Telefon einfach irgendwo abgelegt wird. Wahrscheinlich versinke ich gerade in irgendwelchen tiefen Sofafalten und leiste ein paar Kekskrümeln Gesellschaft. Und mein Sohn ist längst wieder auf dem Weg in die Sandkiste.

Wenn ich jetzt Glück habe, hat mein Mann mitbekommen, dass unser Jüngster das Telefon abgenommen hat. Was dieser übrigens mit Vorliebe tut, seit er krabbeln kann. Kaum war er in der Lage, sich halbwegs auf allen Vieren die Treppe hoch zu bewegen, angelte er sich durch das Treppengeländer das Telefon. Bei den Großen reichte lange Zeit eine ausrangierte Fernbedienung als Ersatzbefriedigung. Der Kleine ist diesem Betrug leider nie aufgesessen. Wenigstens sind die Zeiten vorbei, in denen er bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Telefon an sich riss und fasziniert lauschte, aber keinen Mucks von sich gab.

Ich aber rufe jetzt ins Nirvana, in der Hoffnung, dass mich jemand hört. Schließlich resigniere ich und lege auf. Irgendwann wird hoffentlich irgendjemand das Telefon suchen. Und dann vielleicht sehen, dass ich angerufen habe. Sehnsüchtig blicke ich auf mein Telefon auf dem Schreibtisch. Wird es heute noch klingeln, so dass ich ein echtes Gespräch führen kann?

Mittwoch, 12. September 2012

Spätes Mutterglück und frühe Mutterfreuden

„Hallo Mami“. Wie durch Watte dringen die Worte an mein Ohr. Ich ziehe mir das Kissen über den Kopf und versuche, die Stimme zu ignorieren. „Mami!“ Die Aufforderung wird dringender. „Kuscheln!“, tönt es im Befehlston.

Der Blick auf den Wecker bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen. 3:58 verkünden die rot leuchtenden Zahlen gnadenlos. Das ist alles - aber bestimmt keine Zeit, um geweckt zu werden. Schon gar nicht, um zu kuscheln. Aber wenn unser Jüngster kuscheln will, dann setzt er das auch durch. Egal, wie früh es ist. Aber er kommt nicht ins Bett gekrochen, wie wir es von den anderen Kindern kennen. Nein, er stellt sich neben das Bett (leider IMMER auf meine Seite) und fordert Einlass. Vehement und unbeirrt.

Seufzend rücke ich zur Seite. Wohlwissend, dass Widerstand zwecklos ist. Nun ist an Schlaf erst mal nicht mehr zu denken. Denn ein Klammergriff um den Hals verschafft meinem Jüngsten größtmögliche Nähe. Immer wenn vage Hoffnung aufkeimt, er könnte wieder eingeschlafen sein, folgt ein lautes „Kuscheln!“

Früher hätte ich nicht gezögert, und das Kind konsequent ins eigene Bett zurückgebracht. Früher, das war vor neun bzw. zwölf Jahren. Damals hatte ich noch glasklare Vorstellungen bezüglich der Erziehung. Und des Schlafens im eigenen Bett. Ist mein Handeln durch Altersweisheit zu erklären? Oder habe ich aufgegeben?

Der Jüngste jedenfalls darf meist in unserem Bett bleiben. Das ist wohl die Gunst des Nachzüglers. Und ich genieße so die – manchmal zweifelhafte – Freude späten Mutterglücks.


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Samstag, 8. September 2012

Von muffigen Socken und Wollratten

Was ist eigentlich an dem Satz "Häng bitte dein nasses Handtuch nach dem Duschen auf" nicht zu verstehen? Ist er zu komplex? Die Bitte nicht nachzuvollziehen? Die Aussage nicht eindeutig? Oder fehlt ihm die "Ich-Botschaft"?

Der Weg von den Zimmern der Jungs kann jedenfalls nicht das Problem sein – sie liegen nur drei beziehungsweise fünf Schritte vom Bad entfernt. Trotzdem klaube ich in einer schönen Regelmäßigkeit feuchte Badetücher vom Boden auf und hänge sie dann selber auf, während ich leise vor mich hinfluche.

Eigentlich müsste ich die Sache gelassen sehen. Schließlich trifft sie mich nicht gänzlich unvorbereitet. Schon die Großen meines Mannes sahen sich außerstande, ihre Handtücher zurück ins Bad zu bringen. Allerdings hatten sie auch eine 15-stufige Treppe zu überwinden, was im Alter von 15 oder 17 Jahren durchaus ein ernsthaftes Hindernis darstellen kann. Trotzdem hat es mich schon damals maßlos aufgeregt.

Und während ich jetzt durch Zimmer streife und Handtücher einsammle, fallen mir diverse Klamotten auf, die irgendwie auch nicht ihren Weg in den im Badezimmer stehenden Wächekorb gefunden haben. Brauchen Kinder (oder Jugendliche) eigentlich diesen leichten Muff? Wie sonst kann man als erwachsener Mensch nachvollziehen, dass Fenster grundsätzlich geschlossen sind und sich in den dunklen Ecken – bevorzugt hinter Sitzsäcken und unter Betten – eine ganze Armada von Wollmäusen (oder sollte ich sie aufgrund ihrer Größe lieber Wollratten nennen?) versammelt und einen anspringt, sobald man nachguckt.

Ich bin nicht gewillt, diesen Umstand mit der Unzurechnungsfähigkeit eines Pubertanten zu entschuldigen. Ich werde weiter fluchen, einsammeln – und an die Einsicht meiner Kinder appellieren. In der Hoffnung, dass sie es gelernt haben, wenn sie das Haus verlassen. Sowie in der ruhigen Gewissheit, dass es anderen Müttern nicht besser geht.

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Freitag, 7. September 2012

Termine, Termine, Termine

Kommunaler Sozialdienst, Verfahrensbeistand für die Kinder (vom Gericht für die Kinder gestellter Rechtsbeistand, in diesem Fall eine sympathische Frau), Besprechung mit meiner Anwältin: Die Reihe der Termine reißt in diesen Tagen nicht ab.

Ich finde das alles so überflüssig. Aber ich kann nicht immer zu allem Ja und Amen sagen. Außerdem habe ich das Gefühl, im Sinne der Kinder zu handeln. Bisher hat das Gericht es auch so gesehen. Hoffentlich diesmal auch.

Ums Geld finde ich es übrigens auch schade. Ich wüsste besseres damit anzufangen, als meiner Anwältin – so sehr ich sie auch mag – jedes Jahr einen Urlaub zu spendieren.

Inzwischen gehe ich mit einer gewissen Routine an die Sache heran. Das war nicht immer so. Als ich Silvester 2009 einen Umschlag aus dem Briefkasten fische, bleibt mir fast das Herz stehen. Amtsgericht Hannover, förmliche Zustellung. Im Zeitraffer durchforste ich mein Gehirn, suche nach begangenen und nicht gesühnten Sünden. Habe ich irgendwelche Rechnungen ignoriert? Strafzettel bekommen und nicht bezahlt? Mir fällt nichts ein. Trotzdem zittern meine Finger so sehr, dass ich den Brief kaum auf bekomme. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. In diesem Moment fängt auch noch unser drei Wochen alte Nachzügler an zu weinen. Zum Glück ist mein Mann zur Stelle, ich wäre nicht imstande, jetzt einen Säugling zu halten.

Fassungslos starre ich auf den Brief: Mein Ex-Mann will seine Kinder häufiger sehen. Dabei fliegen sie jetzt schon alle drei Wochen nach München, um ihren Vater zu treffen. Außerdem will er, dass das Gericht gefälligst ihm die Pfingstferien zuspricht. Die Verhandlung soll drei Wochen später stattfinden. Panisch wühle ich in meinen Unterlagen. Bekomme einen hysterischen Anfall, weil ich meine Anwältin erst in fünf Tagen wieder erreichen kann. Kurzum: Diesen Jahreswechsel habe ich nicht als ein einziges rauschendes Fest in Erinnerung. Aber ich habe ihn überlebt.

Eins verspreche ich: Im nächsten Leben suche ich mir ein anderes Hobby!

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Donnerstag, 6. September 2012

Neun Jahre oder 3350 Tage

Eigentlich sollte man denken, neun Jahre sind genug. Genug, um zu vergessen, zu vergeben und ein neues Leben anzufangen. Auch sollte man denken, dass man mit Beruf und großer Familie genug um die Ohren hat – und sich nicht ständig auf neuen Schlachtfeldern des Lebens tummeln muss

Mir geht es zumindest so. Meinem Ex-Mann leider nicht. Und so flatterte kürzlich wieder ein Bescheid des Amtsgerichts ins Haus. Herzrasen bekomme ich bei diesen Briefen schon lange nicht mehr. Schließlich ist es der vierte Antrag innerhalb der letzten zweieinhalb Jahren, den er bei Gericht stellt. Außerdem war der Inhalt wieder so abstrus und absurd, dass ich einige Zeit brauchte, um zu verstehen, was er eigentlich wollte. Im Endeffekt forderte er mich auf, die Kinder weiterhin freitags zum Flughafen zu bringen. Was aber leider nicht geht, da ich inzwischen in einer anderen Stadt arbeite und mein Zug erst im Bahnhof einfährt, wenn der Flieger längst in der Luft sein sollte. Banal, sollte man denken. Eine Situation, für die zwei Erwachsene eine Lösung finden sollten. Wenn sie miteinander reden würden.

Doch mein Ex-Mann kann nicht mit mir reden. Also läuft er zum Gericht. Und hofft, dass die Richter das für ihn regeln. Wollen sie aber nicht. Wahrscheinlich trauen sie das erwachsenen Menschen selber zu. Und so schließt sich der Kreis...

Neun Jahre und zwei Monate ist es her, dass wir uns getrennt haben. 3350 Tage, in denen wir beide ein neues Leben aufgebaut habe: Einen neuen Partner kennengelernt und ein weiteres Kind (er sogar zwei) bekommen haben.

Doch wie sagte schon Friedrich von Schiller? Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt! Oder eben dem Ex-Mann ...


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