Sonntag, 7. Oktober 2012

Von Patchworkfamilien und Stiefmüttern

Wer behauptet, dass Patchwork einfach wäre, der hat schlichtweg keine Ahnung. Oder lügt. Das Gerede von „Bonus“-Familie macht mich wütend. Das ist Schönfärberei. Und jeder, der mit dieser Situation Probleme hat, fühlt sich dadurch nur noch schlechter oder sogar als Versager.

Ich wollte diese Situation nie, da ich selber meine gesamte Kindheit unter einer ungerechten und mir gegenüber boshaften Stiefmutter gelitten habe. Von meinem Vater bekam ich keinerlei Unterstützung. Was das Ganze noch verschlimmerte war die Tatsache, dass diese Stiefmutter meine beiden Schwestern mochte. Und zuckersüß zu ihnen war. Nun hat sie mich nicht als aufmüpfigen Teenager übernommen. Vielmehr bin ich im zarten Alter von vier Jahren in ihr Leben getreten. Oder sie vielmehr in meins. Obwohl zart für mich der falsche Ausdruck war. Ich war wild, laut, ein wenig ungeschickt. Und nicht elfenhaft, wie Mädchen für meine Stiefmutter zu sein hatten.

Doch sie verteilte ihre Launen großzügig. Meine Freundinnen hatten Angst, mit zu meinem Vater zu kommen, da die Stimmung oft zum Schneiden war. Aber auch ihrem eigenen Sohn gegenüber – meinem Bruder – konnte sie außerordentlich harsch sein. Er tat mir als Kind leid. Ich liebte ihn über alles und hätte ihn gerne mit zu uns in unseren schon damals chaotischen, aber liebevollen Haushalt genommen.

Aus dieser Erfahrung heraus wollte ich nie, dass meine Kinder zu Scheidungswaisen werden. Weshalb ich siebeneinhalb Jahre in einer Beziehung ausharrte, die ich am besten nach anderthalb Jahren verlassen hätte. Und setzte sie dann doch dieser Situation aus. Und ein paar Jahre später trat der GAU ein – ich lernte meinen heutigen Mann kennen. Und wurde so plötzlich selber zur „Stiefmutter“ von zwei 11-jährigen Jungen. Auch noch Zwillinge, was die Sache nicht unbedingt vereinfachte.

Die ersten Jahre waren hart. Mein Mann vermisste seine Söhne, die in einer anderen Stadt leben, unglaublich. Und auch den Jungs fehlte die permanente Nähe und Verfügbarkeit ihres Vaters. Die drei hatten ein sehr enges Verhältnis zueinander, bevor die Ehe auseinanderbrach. Gerne wurde ich moralisch für alles verantwortlich gemacht. Dabei lernte ich meinen Mann erst ein halbes Jahr nach seiner Trennung kennen.

Eigentlich hatte ich mich auf eine große Famile gefreut. Wir hatten ein Haus mit genügend Platz für alle gefunden. Aber die Zwillinge wollten bei uns nicht ankommen. Mich lehnten sie ab. Wenn ich nur aus Gesprächen ausgeschlossen wurde, war das noch harmlos. Egal ob beim Essen oder sonstwo, es ging grundsätzlich um Handball oder Leute, die nur die drei kannten. Egal, wer noch mit am Tisch saß. Es konnte auch durchaus passieren, dass man mich mit Nichtachtung strafte. Und dann noch die permanenten Kontrollanrufe der Mutter. Obwohl mein Mann seine Söhne mit dem Auto abholte, klingelte das Telefon meist schon, bevor sie überhaupt durch die Haustür getreten waren.

Mir kam es vor wie der Tanz um das goldene Kalb. Oft gab es Streit und Tränen. Jegliches Verhalten wurde mit der Trennung der Eltern oder als Pubertät entschuldigt. Aber ich wollte nicht alles so hinnehmen. Meine Kinder mussten auch mit einer Trennung zurechtkommen. Und trotzdem wurde ihnen nicht erlaubt, offen zu opponieren.

Auch wenn die Zeit nicht alle Wunden heilt, so ruckelte man sich doch zurecht. Obwohl ich immer bedauerte, dass eine gewisse Distanz geblieben ist. Trotzdem sind die Jungs mir unglaublich ans Herz gewachsen. Und ich war überglücklich, als die bezaubernde Freundin des Ältesten ein Wochenende mit zu uns kam. Und heute, sieben Jahre später, bedaure ich es, sie so selten zu sehen. Denn aus Kindern werden Leute. Die Gespräche mit den beiden sind toll und bereichernd. Und da ich die Pubertät hautnah aber dennoch aus zweiter Reihe bereits im Doppelpack miterleben durfte, bin ich gegenüber meinem großen Sohn sehr viel gelassener, als man es sonst gegenüber einem Erstgeborenem wäre. Denn ich weiß ja, was sich daraus entwickeln kann.