Samstag, 24. November 2012

Das Drama des begabten Kindes (Teil 2)

Das Drama des begabten Kindes (Teil 1)

Keine Ahnung, ob unser Zweitgeborener hochbegabt ist. Oder lediglich sehr intelligent. Das spielt auch keine Rolle. Denn die Kehrseite der Medaille macht es für alle schwieriger – auch für ihn selbst.

Auf den ersten Blick sieht man nur die Begabungen. Die Musikalität – einmal gesehene Noten kann er auswendig, nach Gehör zu spielen oder singen bereitet ihm keine Schwierigkeiten; die Aufnahmeprüfung zum Knabenchor bestand er mit „Alle meine Entchen“. Oder das Sprachtalent, egal ob es um Englisch oder Russisch geht. Die Fähigkeit, nach einmal durchlesen alle Bundesländer und Hauptstädte zu können. Das Einmaleins runterzubeten, während der große Bruder noch rechnet...

Denn im Grunde genommen ist es ein Repetieren des Gehörten. Doch irgendwann im Laufe der schulischen Laufbahn muss auch das begabteste Kind anfangen zu lernen. Und damit kann Felix nichts anfangen. Auf meine Frage, ob es nicht toll wäre, sich etwas zu erarbeiten, was man nicht könne, um es dann zu beherrschen, schaut er mich nur verständnislos an. Eine Lehrerin klärte mich darüber auf, dass er gar nicht wissen würde, wovon ich sprach. Weil er eben alles kann.

Doch dann kamen die Textaufgaben. Und mit ihnen zogen die Wutanfälle bei uns ein. Die Aufgaben schienen nicht seinem bisherigen Denkmuster zu entsprechen. Und brachten ihn zur Verzweiflung. Natürlich war nicht er Schuld, sondern seine Lehrerin blöd und die Aufgaben unlösbar. Zeitgleich haderte er mit dem Cello. Auch hier war es selbstverständlich der Fehler des Lehrers. Und anstatt zu üben, drehte Felix ihm den Rücken zu und verweigerte sich komplett.

Plötzlich flog ihm nicht mehr alles so zu, wie er es gewohnt war. Die Erkenntnis war für ihn ungleich schwerer, als für seinen großen Bruder, der sich schon immer alles erarbeiten musste. Doch was nützt einem alle Begabung, wenn man es nicht schafft, etwas daraus zu machen?

Ich finde es sehr viel einfacher, mit einem Kind Vokabeln zu pauken, als ihm behutsam beizubringen, dass alle Begabung nichts nützt, wenn man nichts daraus macht. Und sich weigert zu lernen, weil man ja scheinbar alles kann.

Die Landung auf der Erde war hart für Felix. Und die Schmerzen sind bis heute nicht vergessen. Doch ich hoffe, wir sind auf einem guten Weg. So dass Felix nicht dem Drama des begabten Kindes erliegt und eines Tages scheitert. Sondern es schafft, aus seinen Begabungen sich eine herauszupicken und diese weiterzuentwickeln.