Keine Ahnung, ob unser Zweitgeborener hochbegabt ist. Oder lediglich sehr intelligent. Das spielt auch keine Rolle. Denn die Kehrseite der Medaille macht es für alle schwieriger – auch für ihn selbst.
Auf den ersten Blick sieht
man nur die Begabungen. Die Musikalität – einmal gesehene Noten kann er
auswendig, nach Gehör zu spielen oder singen bereitet ihm keine Schwierigkeiten;
die Aufnahmeprüfung zum Knabenchor bestand er mit „Alle meine Entchen“. Oder
das Sprachtalent, egal ob es um Englisch oder Russisch geht. Die Fähigkeit,
nach einmal durchlesen alle Bundesländer und Hauptstädte zu können. Das
Einmaleins runterzubeten, während der große Bruder noch rechnet...
Denn im Grunde genommen ist
es ein Repetieren des Gehörten. Doch irgendwann im Laufe der schulischen
Laufbahn muss auch das begabteste Kind anfangen zu lernen. Und damit kann Felix
nichts anfangen. Auf meine Frage, ob es nicht toll wäre, sich etwas zu
erarbeiten, was man nicht könne, um es dann zu beherrschen, schaut er mich nur
verständnislos an. Eine Lehrerin klärte mich darüber auf, dass er gar nicht
wissen würde, wovon ich sprach. Weil er eben alles kann.
Doch dann kamen die
Textaufgaben. Und mit ihnen zogen die Wutanfälle bei uns ein. Die Aufgaben
schienen nicht seinem bisherigen Denkmuster zu entsprechen. Und brachten ihn
zur Verzweiflung. Natürlich war nicht er Schuld, sondern seine Lehrerin blöd
und die Aufgaben unlösbar. Zeitgleich haderte er mit dem Cello. Auch hier war
es selbstverständlich der Fehler des Lehrers. Und anstatt zu üben, drehte Felix ihm den
Rücken zu und verweigerte sich komplett.
Plötzlich flog ihm nicht
mehr alles so zu, wie er es gewohnt war. Die Erkenntnis war für ihn ungleich
schwerer, als für seinen großen Bruder, der sich schon immer alles erarbeiten
musste. Doch was nützt einem alle Begabung, wenn man es nicht schafft, etwas
daraus zu machen?
Ich finde es sehr viel
einfacher, mit einem Kind Vokabeln zu pauken, als ihm behutsam beizubringen, dass
alle Begabung nichts nützt, wenn man nichts daraus macht. Und sich weigert zu
lernen, weil man ja scheinbar alles kann.
Die Landung auf der Erde war
hart für Felix. Und die Schmerzen sind bis heute nicht vergessen. Doch ich
hoffe, wir sind auf einem guten Weg. So dass Felix nicht dem Drama des begabten
Kindes erliegt und eines Tages scheitert. Sondern es schafft, aus seinen Begabungen sich eine herauszupicken
und diese weiterzuentwickeln.