Die
Schuhe. Wo sind nur wieder diese blöden Schuhe? Wo – in Gottes
Namen – hat das Kind sie diesmal ausgezogen? Wir müssen los,
Johann (2) zur Tagesmutter, ich habe einen dringenden Termin. An der
Schaukel werde ich schließlich fündig. Wo denn auch sonst. Haben
wahrscheinlich beim Klettern gestört...
Wenn
man auf Johann aufpasst, drängt sich früher oder später
unweigerlich der Vergleich mit dem Sack Flöhe auf. Schneller als man
gucken kann, ist er in den Garten entwischt. Und sitzt im Schlafanzug
mitten in der Sandkiste. Oder steht auf der Straße, weil die Haustür
nicht abgeschlossen war.
Die Selbständigkeit unseres Nachzüglers ist schon außergewöhnlich. Leider auch außergewöhnlich anstrengend. Keiner unserer Großen kam auch nur ansatzweise auf solche Ideen, wie ihr kleiner Bruder sie tagtäglich ausheckt. Dass zurzeit bei seiner Tagesmutter eine Grundsanierung stattfindet, macht das Ganze nicht einfacher. Breitbeining, mit angewinkelten Armen und einer Holzlatte in der Hand stapft er durch den Garten. Nimmt Maß, sägt, hämmert. „Ich Bauarbeiter.“ Hatte ich schon erwähnt, dass sein Sprachvermögen nicht im entferntesten an seine Motorik heranreicht?
Alles
dient zum Klettern. Keine Leiter ist zu hoch, kein Baum zu steil,
kein Stuhl zu wackelig – und Schubladen kann man prima
herausziehen, um über diese Treppe auf die Arbeitsfläche der Küche
zu gelangen. Meine Eltern haben etwas hochgelegt, damit ich nicht
dran komme? Kein Problem, wozu gibt es Stühle? Oder Kisten. Diese
umzudrehen, um dann draufzuklettern, wäre natürlich zu einfach. Auf
dem schmalen Rand balancierend, wird das Objekt der Begierde
geangelt.
Bei
Johann hat es keinen Sinn, sich zu fragen, warum er etwas macht.
Meist fällt einem eh nur die Antwort ein: Weil er es kann. Und die
Großen – egal ob Eltern oder Brüder – es auch machen. Manche
Seite meines Kalenders ist kaum mehr zu entziffern. Was nicht nur an
der Fülle meiner Termine liegt. Vielmehr sah auch mein Jüngster
sich bemüßigt, auf etlichen Seiten etwas einzutragen. Wände
bemalt, Möbel bekritzelt – solche Erzählungen meiner Freundinnen
konnte ich früher nicht fassen. Heute entlocken mir diese Tatsachen
im eigenem Haus nur noch einen resignierten Seufzer.
Ich
muss zugeben, oft fällt es uns verdammt schwer ernst zu bleiben und
zu schimpfen. Vor allem, wenn dann wieder dieser charmante Blick von
unten hoch folgt, der Kopf schief gelegt wird und ein fragendes
„Nein?“ kommt. Nein! Manchmal frage ich, ob mich unser Nachzügler
mit diesen Aktionen jung hält – oder doch schneller altern lässt.