Was vielleicht auch ein wenig unserer Erfahrung und der daraus
resultierenden relativen Gelassenheit geschuldet ist. Schließlich ist es
bereits für jeden von uns das dritte Mal, dass wir ein Kind in der Trotzphase „genießen“.
Mein Mann hatte sogar das zweifelhafte Vergnügen, vor 15 Jahren diese Zeit im
Doppelpack durchzustehen. Und ebendiese Zwillinge haben uns auch schon
sämtliche Höhen und Tiefen der Pubertät gezeigt.
Und trotzdem werden meine Nerven arg strapaziert, wenn
Johann sich mal wieder mit aller Macht auf den Boden wirft, weil er partout
nicht an der Hand gehen will – obwohl in drei Meter Entfernung die Autos
vorbeirauschen. Oder ich ihm die Schuhe nicht anziehen darf: „Papi macht das!“.
Haha, Papi ist nicht da. Und die Tagesmutter wartet. Ganz zu schweigen von
meinem Termin. Innerlich koche ich, äußerlich versuche ich ruhig zu bleiben.
Was mir nicht sehr überzeugend gelingt. „Du kommst jetzt“, zische ich durch
meine zusammengebissenen Zähne. „Nein, spielen!“ lautet die Antwort. Und weg
ist er. Ich rappel mich hoch, den Schuh noch in der Hand und hole Johann von
den Legosteinen weg. In dem Moment ist mir klar, warum es auch Bockphase
genannt wird: Er wehrt sich wie ein kleiner Ziegenbock, den man an den Hörnern
packt. Heult, weigert sich, sich hinzusetzen – dabei will ich ihm nur die
Schuhe anziehen!
Fünf Minuten später stehen wir vor der Haustür. Ich schweißgebadet und
genervt, Johann fröhlich und tatendurstig, als wäre nichts gewesen.
Meist aber kann ich mir diese Szenen tatsächlich relativ
entspannt ansehen. Weil ich weiß, dass es sich um eine Durchgangsphase handelt.
Und ihr Ende in greifbarer Nähe ist.
Die zweite große
Durchgangsphase – die Pubertät – ist da manchmal schon schwieriger auszuhalten.
Warum eigentlich? Vielleicht weil man sich selber noch erinnert, wie die
Gefühle mit einem in diesem Alter Achterbahn gefahren sind. Man in einem Moment himmelhochjauchzend war, im nächsten zu Tode betrübt. Und dann diese pampigen Antworten... Mir fällt es schwer, in solchen Situationen nicht die Erziehungskeule herauszuholen. Dabei weiß ich nur zu gut, wie ich selber war – bloß um meine Mutter zu provozieren. Was ja auch meist gelang. Außerdem will das Trotzkind nicht – im Gegensatz
zum Pubertanten – abends alleine mit seiner Freundin ins Kino. Oder auf
den Weihnachtsmarkt. Da wird die abgeklärte Mutter plötzlich zur kämpfenden Löwin,
die der Meinung ist, ihren Sohn vor den Unbilden des Lebens schützen zu müssen.
Und stellt fest, dass das Loslassen doch nicht so einfach ist.
Ich weiß, dass mein „Nein“ manchmal vorschnell ist. Aber ich
weiß auch, dass beileibe nicht alle anderen Kinder alles dürfen. Das hat meine
Mutter mir früher schon nicht geglaubt. Da muss sich der Pubertant schon bessere
Argumente einfallen lassen. Aber für Paul ist es schwer vorstellbar, dass ich
auch mal jung war. Und diese Situationen aus eigener Erfahrung kenne. Was so
einem 14-Jährigen manchmal entfällt: Auch wir Eltern benutzen Telefone, um uns
mit anderen Eltern zu unterhalten.
Doch auch wenn die Phasen vergleichbar sind und wir alle durch
den (manchmal schmerzhaften) Prozess der Abnabelung müssen: Einen Dreijährigen,
der sich in der Fußgängerzone heulend auf den Boden wirft, weil er den Lolli
nicht bekommt, kann ich besser ertragen als einen 14-Jährigen, der sich
kreischend quer in die Tür schmeißt, weil er nicht bei seiner Freundin
übernachten darf.